Ich sitze an meinem Rechner und schreibe, wälze Ideen, formuliere Sätze, finde meinen roten Faden - bin voll in meiner Konzentration und nehme kaum etwas um mich herum wahr. Bis plötzlich: "Sorry, kannst du dir das mal kurz anschauen?" Ich lasse von meiner Arbeit ab, widme mich dem Anliegen, das natürlich nicht mit dem angekündigte "kurzen Anschauen" erledigt ist. Nach einiger Zeit kehre ich wieder zu meiner Aufgabe zurück und komme einfach nicht mehr rein in diesen Flow, diese besondere Stimmung der Kreativität.
Solche oder ähnliche Situationen kennen wohl die meisten von uns - besonders jene, die in Teams und / oder in Großraumbüros arbeiten. Meistens geht es los mit Floskeln wie "Hast du mal ´ne Minute?", "Nur ganz kurze Frage..." oder "Schau doch da mal ganz schnell drüber, bitte." Dabei ist in den allermeisten Fällen allen Beteiligten klar, dass das Anliegen nicht ganz schnell in einer Minute so nebenbei erledigt sein wird - dem Fragesteller ebenso wie dem Befragten.
Viel ehrlicher wäre folgende Formulierung: "Kannst du bitte jetzt meine Prioritäten für die nächste Zeit über deine stellen?" Darüber denken die meisten von uns natürlich nicht nach und so versuchen wir - weil es uns selbst irgendwie unangenehm ist - den Aufwand, den wir dem anderen aufhalsen, zu beschönigen (nur eine Minute, klitzekleine Frage, ganz schnell mal, etc.).
Problematisch werden diese Unterbrechungen dann, wenn sie sich derart in der Kultur etablieren, dass es für Mitarbeitende schwierig wird, sich abzugrenzen, also "nein" zu sagen, wenn diese Art der unklaren Kommunikation zu fehlender Autonomie und so zum Zwang in der Arbeitskultur wird. Wie kann man also selbst besser damit umgehen, wie sollten wir selbst um Hilfe bitten, ohne dabei den Fokus und die Konzentration des anderen zu stören?
1. Nimm eine wertschätzende Haltung ein, d.h. mach dir klar, dass die Zeit deines Gegenübers ebenso wichtig ist, wie deine
- Sei ehrlich zu dir selbst: kannst du dir die Information, die du brauchst, nicht auch selbst beschaffen?
- Ist es wichtig, dass das Thema jetzt auf der Stelle geklärt wird?
- Kann ich selbst nicht weiterarbeiten, ohne meine Kollegin / meinen Kollegen zu stören?
2. Kläre vorab, wer relevante Ansprechpartner für dein Thema sind - diese Verantwortung liegt bei dir
- "Weißt du zufällig..." oder "Du bist vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner für das Thema xy..." sind Indizien für deine Unklarheit
- Sobald du klar bist, sprich die Person in dieser Klarheit an "Ich brauche deinen Input in deiner Rolle als Projektleiter...."
3. Überlasse es der anderen Person, den Bearbeitungsaufwand einzuschätzen, versuche nicht, den Aufwand kleinzureden
- Vermeide die üblichen "kleine Frage", "kurze Störung", "schnell mal", etc. - es ignoriert den Aufwand der anderen Person, wieder konzentriert weiterarbeiten zu können.
- Versuche selbst, ein Ergebnis zu formulieren, das du brauchst. "Ich habe eine Bitte an dich als Projekteinkäufer. Kannst du mich unterstützen? Ich brauche drei Bewertungen für diese Komponente."
4. Gib der anderen Person die Freiheit, deine Bitte abzulehnen und überschütte sie nicht mit minutenlangen Problemschilderungen
- Auch wenn es manchmal wirklich dringend ist, wir können niemanden verpflichten, uns auszu
- helfen
- Wenn die Hilfe dringend ist, teile alle relevanten Informationen, sodass keine Rückfragen nötig werden.
- Teile Informationen über den Kontext, sodass der / die andere selbst besser einschätzen kann, wofür die Arbeit überhaupt gemacht wird und ob es dringend ist.
Natürlich haben wir alle eine eigene Verantwortung dafür, ob, aus welchem Grund und wie oft wir uns unterbrechen lassen. Und manchmal ist es wirklich wichtig, und manchmal geht es tatsächlich schnell. Trotzdem ist es an uns, rechtzeitig unsere Grenzen zu setzen. Wenn der Kollege vom Wochenende erzählen möchte, während ich gerne weiterarbeiten möchte, muss ich ihm das wertschätzend sagen können.
Es lohnt sich auf alle Fälle, über die Häufigkeit und die Art von solchen "kleinen" Arbeitsunterbrechungen zu reflektieren. Für sich persönlich, aber auch für das Team. Folgende Fragen könnten helfen, zu mehr fokussierter Arbeit zu kommen:
- Wann werde ich üblicherweise unterbrochen? Gibt es Zeiten in meinem Arbeitstag, wo dies häufiger bzw. seltener passiert?
- Bei welchen Arbeiten stört es mich besonders, wenn man mich unterbricht? Bei welchen nicht so sehr?
- Wie kann ich meine und die Autonomie der anderen im Team besser schützen?
Vielleicht bringen die Antworten auf diese Fragen neue Ideen für dich und dein Team - für mehr Fokus und mehr "Flow"...
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Volker (Freitag, 22 März 2024 10:45)
Wenn in einem Unternehmen alle Mitarbeiter sich so verantwortlich verhalten würden, wie Du vorschlägst, gäbe es eine deutliche Effizienz- und Qualitätssteigerung.
Das einzufordern, ist die Verantwortung der Führungsorganisation. Dazu bedarf es Führungskräfte, die sich Ihrer Verantwortung bewusst sind und sich dieser stellen.
Ein erfolgreiches Coaching setzt genau da an.