Mir passiert es in letzter Zeit immer häufiger, dass ich von früheren Kolleg*innen oder Bekannten höre, dass sie ihren Job kündigen und den Arbeitgeber wechseln. Menschen verlassen Unternehmen und ich kann mir in manchen Fällen diese Unternehmen ohne genau diese Menschen gar nicht richtig vorstellen.
Die Frage, wie und woher Unternehmen „gute Leute“ bekommen, ist eine sehr dringende – nicht zuletzt angesichts des breiten Mangels an Fachkräften. Und in diesem Feld passiert auch sehr viel: Employer Branding, aufwändige Image-Kampagnen und Rankings, wenn es um die „Best company to work for“ geht.
Aber sind die Gründe für das Kommen die gleichen wie für das Bleiben, oder gar für das Gehen? Ich denke nicht...
1. Menschen kommen zu Unternehmen aber verlassen Führungskräfte. Also sind die sogenannten Bad Bosses wohl einer der wesentlichsten Gründe dafür, dass gute Leute gehen. Genau das zeigt auch eine Umfrage aus dem Jahr 2019 (fast die Hälfte der Befragten gaben an, dass fehlende Wertschätzung vom direkten Vorgesetzten der Grund für die Kündigung war). Überrascht das? Nein, denn Menschen, die sich nicht wahrgenommen fühlen, die keine Wertschätzung erfahren und deren Meinung nicht zählt werden – no surprise – gehen oder sich zumindest innerlich vom Unternehmen entfremden. Das Finden und Rekrutieren neuer Mitarbeiter erhält meist sehr viel Aufmerksamkeit, während dem Thema Mitarbeiterbindung allenfalls oberflächliche Bedeutung beigemessen wird. Zumindest ist mir kein Beispiel bekannt, wo eine hohe Fluktuationsrate eine Konsequenz für die Führungskraft hatte…
2. Der nächste wichtige Grund ist die Frage der Kompensation im weiteren Sinne. Wenn es keine wirklich attraktiven Leistungsanreize für „Hochleister“ gibt, oder wenn bestehende Bonusregelungen intransparent und unfair gestaltet sind, dann wird man eher früher als später seinen Wert anderswo testen. Darüber hinaus wird auch ein ehrliches Bekenntnis zu Aufstiegsmöglichkeiten und Entwicklungswegen von Mitarbeitern sehr groß geschrieben, im Alltag begegnet ihnen allzu oft, dass personelle Löcher gestopft werden und die Situation „halt grade etwas anderes erfordert, als besprochen war“. Auch hier geht es letztlich um zuverlässiges Handeln durch die Führungskraft.
3. Gute Arbeitgeber schaffen ein gutes Arbeitsumfeld für ihre Mitarbeiter. Veraltetes Equipment ist offensichtlich problematisch, das leuchtet jedem ein. Aber wenn gute Leute, die mit aller Kraft das Beste erreichen wollen, regelmäßig von firmeninternen Regelungen – deren Sinnhaftigkeit ihnen niemand erläutert hat – ausgebremst oder zurückgeworfen werden, dann kann das zum unüberwindbaren Problem werden. Fehlende Möglichkeit zum Home Office ohne ersichtlichen Grund (außer der große Kontroll-Bedarf des Vorgesetzten), kleinliche Regelungen für Dienstreisen, ineffiziente Meetingkultur, die Liste könnte lange fortgesetzt werden. Schlechte Prozesse sind also ein deutlich unterschätztes Pfund in der Frage der erfolgreichen Mitarbeiterbindung.
„Gute Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, das sind zwei völlig verschiedene Aufgaben. Wenn wir Mitarbeiterbindung wirklich ernst nehmen, dann kommen wir nicht darum herum, unsere Führungskräfte auf jeder Ebene in die Verantwortung zu bringen. … Was ist wichtig im Unternehmen? Das, was Konsequenzen hat. Was keine Konsequenzen hat, ist unwichtig. … Bei einer hohen Fluktuationsrate müssen wir also bereit sein, uns von Managern zu trennen, die dafür verantwortlich sind. Wenn wir das nicht tun, hat das Reden über Mitarbeiterbindung bestenfalls einen Placebo-Effekt.“, schreibt der Führungsexperte und Autor Reinhard K. Sprenger im Manager Magazin. Ein interessanter Gedanke…
"Führung heißt, andere groß zu machen, nicht andere klein zu machen." (Herrmann Simon)
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Melanie (Donnerstag, 14 Juli 2022 16:45)
Super Artikel - Du Triffst es absolut auf den Punkt!!!
Stefan (Freitag, 15 Juli 2022 17:12)
Bei der Jobwahl waren für mich immer entscheidend: Geschäftsmodell des Unternehmens, Aufgabenstellung UND direkte Führungskraft. Daher greift der Satz „Menschen kommen zu Unternehmen, aber verlassen Führungskräfte…“ für mich zu kurz. Meistens weiß man, auf was oder auf wen man sich einlässt.
Für mich erscheinen neben den Hygienefaktoren noch andere Punkte relevant:
Gesellschaftliche Trends, z.B. mehr Individualisierung und Fokus auf die kurze Frist befeuern die Entwicklung weiter.
Arbeit wird neben dem Broterwerb mittlerweile weniger als „soziales Event“ verstanden, sondern als Mittel zur Selbstverwirklichung. Nicht jeder brennt (leider), für das, was er/Sie beruflich macht. Das führt zu geringerer Frustrationstoleranz von Mitarbeitern, wenn’s mal schwierig ist und nicht so läuft. Angebote gibt es dank - bisher - guter Wirtschaftslage, Demographischer Entwicklung und schwacher Produktivität ausreichend.
Noch…
Ruth (Freitag, 15 Juli 2022 17:37)
Wie wahr , GABI. Herzliche Grüße