Denkfehler: Soziale Bewährtheit

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist am 9.10.2021 zurückgetreten. Grund dafür waren u.a. Vorwürfe, denen zufolge Kurz und sein Team geschönte Umfragen für ihre Partei gekauft und mit Steuergeldern bezahlt hätten. 

 

Die Frage ist: was bringen geschönte Umfragen und gekaufte positive Berichterstattung in Zeitungen? Man könnte meinen, gar nichts, denn sie stimmen schließlich nicht. Und eine Partei, für die man inhaltlich nicht ist, wird man trotz Schönung nicht wählen. 

 

Leider stimmt das nicht, man darf nämlich einen wichtigen Faktor nicht vernachlässigen: die Wirkung sozialer Bewährtheit. Wir klatschen im Konzert, wenn andere das auch tun, wenn wir eine Gruppe Menschen treffen, die in den Himmel starrt, sehen wir ebenso nach oben.

 

Welche Kraft dieser Effekt v.a. im Marketing haben kann, macht folgendes Beispiel deutlich: der Psychologe R. Cialdini beschreibt folgenden Fall im Unternehmen Nordic Track. Nordic Track hat die Werbung für sein Produkt zunächst mit folgender Information beendet: "Operators are waiting, please call now." Die Kunden sollten also anrufen und bestellen. Der Umsatz vor dem Hintergrund dieser Call-to-Action war aber gar nicht zufriedenstellend. Daraufhin wurde dies umgestellt zu "If operators are busy, please call again." Daraufhin ist der Umsatz stark angestiegen. Aber wieso?

 

Die Antwort ist: soziale Bewährtheit, genauer gesagt, die Suggestion sozialer Bewährtheit. Nordic Track hat suggeriert, so viele ihrer Produkte zu verkaufen, dass sie kaum noch hinterherkommen ("If operators are busy, please call again."). Und wenn SO viele Menschen anrufen, dass sie kaum noch hinterherkommen, dann muss es gut sein und ich muss es auch haben!

 

Zurück zu Sebastian Kurz: geschönte Umfragen und gekaufter Jubel haben dieselbe Wirkung - die Suggestion sozialer Bewährtheit. Wenn so viele Menschen Kurz wählen würden, dann sollte ich auch darüber nachdenken. Es scheint ja wohl etwas dran zu sein... R. Cialdini sagt: "Umso größer die Anzahl derjenigen ist, die etwas für wahr halten, desto wahrscheinlicher erscheint es uns, dass die betreffende Überzeugung auch tatsächlich wahr ist." Anders gesagt, wir meinen, uns richtig zu verhalten, wenn wir uns so wie die anderen verhalten.

 

Genau deshalb funktioniert das Prinzip sozialer Bewährtheit: wenn viele Menschen etwas befürworten, dann sind wir - einfach nur deswegen - geneigt, es auch zu befürworten. Soziale Bewährtheit zu suggerieren ist somit eine Manipulationstechnik, die große Wirksamkeit entfalten kann.

 

Also: sobald - insbesondere im politischen oder wirtschaftlichen Kontext - soziale Bewährtheit kommuniziert wird, hinterfragen Sie immer, ob das Ganze auch inhaltlich sinnvoll ist. Nur weil ein Produkt das "meistverkaufte" ist, muss es nicht zwingend auch das beste sein. Springen Sie also nicht aus dem Fenster, wenn alle aus dem Fenster springen - und zwar nur deshalb, Weil die anderen aus dem Fenster springen. Aber wenn es brennt und der Sprung womöglich die beste Option ist, dann ist das Ganze auch eine Überlegung wert...

 

 

"When you say it, it's Marketing. When they say it, it's social proof."  Andy Crestodina

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan (Mittwoch, 12 Januar 2022 17:31)

    Guter Beitrag! an der Börse auch bekannt als ‚Fear of missing out‘ - bester Stoff, der dort Spekulationsblasen befeuert. Nach dem Motto, wenn alle Bitcoin kaufen, muss das Ja was taugen…