Höher - schneller - weiter! Echt jetzt?

Nach Wikipedia ist "die Karriere" die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben. Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff in der Regel einen beruflichen Aufstieg, d.h. der Begriff Karriere wird mit Veränderung der Qualifikation sowie einem wirtschaftlichen und / oder sozialen Aufstieg verbunden.

 

So weit, so gut.

 

Übersetzt hieß das für meine Generation (Ende der 90-er Jahre ins Berufsleben gestartet), vor allem durch großen Fleiß, durch persönliche Entbehrungen und durch das Hintanstellen des Privatlebens, die Leiter nach oben zu klettern. Es war meist klar, dass man sich den Erwartungen des Unternehmens, den Anforderungen der Systeme und der Kultur unterordnen muss und man musste bereit sein, immer noch mehr zu geben. Höher, schneller, weiter - auch eine Art Sport (für den es meistens keine Zeit mehr gab). Zeit für sich, für Individualität, Familie und Partnerschaft war häufig nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.

 

Dieses Modell scheint allerdings mehr und mehr ausgedient zu haben. Karrieren verlaufen heute nach anderen Mustern. Der Anspruch vieler Menschen in gängigen Arbeitsverhältnissen hat sich dahingehend verändert, dass es immer mehr um die Frage geht "Was erfüllt mich?". Die Menschen suchen danach, dass ihre Arbeit ihr Leben bereichert, ihnen Möglichkeiten des Lernens und vor allem zur Entfaltung bietet. 

 

Individualisierung, Konnektivität und Mobilität als gesellschaftliche Megatrends haben diese Entwicklung wahrscheinlich eingeläutet, die Pandemie hat sie ohne Zweifel beschleunigt.  Hermina Ibarra (Professorin für Organizational Behaviour an der London Business School) sagt, dass viele Menschen in der Krise erkannt haben, was sie nicht mehr wollen. "Es geht darum, sich seiner selbst bewusst zu werden, etwas über sich selbst zu lernen und Entscheidungen zu treffen, die die eigene Persönlichkeit bewahren."

 

Die Corona-Pandemie hat zahlreiche neue Formen der Zusammenarbeit für viele erlebbar gemacht. Ob man sein Home-Office nun tatsächlich zu Hause eingerichtet hat oder aus dem Mobile Office in Riva del Garda arbeitet, macht für viele eigentlich keinen Unterschied. 

 

Das Aufbrechen also, des 9-to-5 Anwesenheits-Büroalltags, die Flexibilisierung des Arbeitsortes ist die eine große Stellschraube, die die Neudefinition von Karrieren beflügelt. Die Flexibilisierung von Arbeitszeiten die andere. Die Verbindung von Elternschaft und Karriere ist eine Herausforderung, bei der es heute nicht mehr nur um Mütter geht, die verantwortungsvolle Positionen innehaben, sondern auch um die Väter.  Und es geht vor allem um die Unternehmen, die ihre Potenzialträger nicht verlieren möchten. Dafür ist es aber nötig, sich diesen neuen Realitäten zu stellen und Antworten zu finden, auf die Fragen, die sich daraus ergeben. Statische Modelle zur Talentförderung und Nachfolgeplanung seitens der HR-Organisationen sowie das Akzeptieren der gläsernen Decke - besonders für Frauen - werden in Zukunft nicht mehr ausreichend sein. Ich bin persönlich gespannt, welche Lösungen es hier mittelfristig geben wird und welche Konzepte die Nase vorne haben.

 

Die Karriereforscherin Hermina Ibarra sagt: "In der Pandemie haben viele Leute festgestellt, dass ihr Job für sie nicht von großer Bedeutung ist. Eine wachsende Zahl an Menschen ist sowohl finanziell in der Lage, als auch bereit, ohne die Sicherheit eines neuen Jobs zu kündigen oder Gehaltseinbußen hinzunehmen, wenn dafür andere Bedürfnisse erfüllt werden."

 

Dadurch ergibt sich das Risiko, dass Unternehmen mit der Kündigung von Leistungsträger*innen konfrontiert werden. Und die, die gehen, sind engagierte und talentierte Mitarbeiter*innen, die vermutlich nach anderen Zielen streben als nach höher, schneller und weiter. Unternehmen, die High Potentials oder Expert*innen halten oder gewinnen wollen, müssen sich auf diese Bedürfnisse einstellen, um nicht in einigen Jahren vor empfindlichen Personalproblemen zu sehen.

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Volker (Dienstag, 07 September 2021 08:29)

    Gut geschrieben, Ich denke Du triffst den Zeitgeist. Ein echter usp für die Firma, die kulturell diese Herausforderungen lösen kann. Erfolgreiche modelle sind gefragt.

  • #2

    Melanie (Donnerstag, 16 September 2021 15:53)

    Super, das Trifft es wirklich auf den PUnkt. Das Was Du in Dem Letzten Absatz schreibst ist ein Absolut wichtiger Punkt. Wenn ein Unternehmen das Nicht erkennt, Wird es sehr Gute Mitarbeiter*Innen verlieren. Ich freue mich schon auf Deinen Naechsten Post.

  • #3

    Sternschnuppe (Montag, 04 Oktober 2021 18:14)

    Ich frage mich nur : Hatten unsere Führungskräfte der ersten Ebene nicht diese Erfahrungen in der Corona- Zeit gemacht? Oder warum ändert sich hier in der Denkweise so wenig?